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Schnurmann, Fritz (Hilfe für Juden, Kritik am NS)

Fritz Schnurmann wird am 19.11.1889 in Unterkochen bei Aalen geboren. Er studiert Medizin in München und wird 1919 Arzt in Pforzheim. Seine Praxis ist in der Nagoldstraße 15. Im Jahre 1924 heiraten er und Berta Ecker. 1926 und 1929 kommen die Töchter Christina und Theodora zur Welt. Ab 1929 ist er Vorstand der Orts-Gruppe der Anthroposophischen Gesellschaft* bis zum Verbot 1935.

 

Am 30. März 1933 meldet das Pforzheimer Morgenblatt: „Jüdische Ärzte und Zahnärzte sind von der Kassenpraxis ausgenommen“. Damit ist es Fritz Schnurmann, der aus einer jüdischen Familie stammt, nicht mehr gestattet zu praktizieren. Betroffen von diesem Berufsverbot sind in Pforzheim Kurt Ehrenberg, Bernhard Kern, Rudolf Kuppenheim, Hermann Netter, Friedrich Roos, Nathan Roos, Wilhelm Rosenberg und Jenny Stern.

 

Schnurmann ist Gegner der NSDAP und hilft u.a., die illegale Schrift „Man flüstert in Deutschland… Die besten Witze über das dritte Reich“ *, die er 1934 von einem Ärztekongress in der Schweiz mitgebracht hatte, heimlich zu verteilen. Er wird verraten und sitzt im Januar 1935 einen Monat in U-Haft. Das Sondergericht Mannheim verurteilt ihn am 18.3.1935 zu einem Jahr Haft. Drei Mitangeklagte, Hermann Bischoff, Mitglied der SPD* und der Naturfreunde*, sowie Wilhelmine und Klara Dietz - siehe jeweils dort, erhalten ebenfalls Haftstrafen.

 

Das NS-Organ „Pforzheimer Anzeiger“ veröffentlicht am 10.1.1934 gegen die Anhänger der Ideen Rudolf Steiners: „Es hat keinen Sinn mit den Anthroposophen zu verhandeln. Mit Bakterien verhandelt man nicht, man vernichtet sie.“ Im November 1935 folgt das Verbot der Gesellschaft wegen „internationaler Einstellung und engen Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten“.

 

Da Fritz Schnurmann nach der Entlassung aus der Haft im Februar 1936 im „Reich“ seine Familie nicht versorgen kann, flieht er im Oktober 1936 nach Portugal. Frau und Töchter sind „nichtjüdisch“ und deswegen noch nicht gefährdet, sie bleiben in Stuttgart, die Töchter besuchen dort die Waldorfschule. Ihr Vater muss in Lissabon noch einmal - in portugiesischer Sprache - studieren. Im Juni 1939 steht sein Name auf der Ausbürgerungsliste, im September 1939 kommt die Familie nach Lissabon, da die Nazis die Waldorfschulen geschlossen haben. Im Mai 1940 schließt er sein Studium mit seiner zweiten Doktor-Arbeit mit dem Titel „Zur phänomenologischen Methode Goethes, angewandt auf Struktur und Aussehen des Menschen“ ab. Er eröffnete eine Praxis in der Pracadas Amoreiras 45 in Lissabon.

 

Über seine Tätigkeit 1941 gibt es eine Notiz: Das Ehepaar Täubler-Stern, „nichtarische“ Historiker aus Berlin, können nach der Schließung der Hochschule für das Judentum nicht mehr arbeiten und müssen den „Judenstern“ tragen. Sie gelangen auf ihrer Flucht aus Europa nach Lissabon. Ihre Kontaktadresse dort, wo Flüchtlinge Geld und Nachrichten erhalten, ist Fritz Schnurmann. Mit seiner Hilfe gelingt dem Ehepaar die Flucht in die USA.

In einem Brief 1946 an einen Freund nennt er Pforzheim seine „alte, zerstörte Heimat“, er weiß also um den 23. Februar 1945, und fragte nach „den Schicksalen unserer Freunde“. Das Ende des Brief belegt seine Haltung: „Wir wünschen, Sie könnten bald statt Hauptmann wieder Hauptlehrer sein“.

 

Ab 1950 veröffentlicht er in anthroposophischen Zeitschriften. Trotz Invalidität arbeitet er ab 1955 als Vertrauensarzt der Botschaft der BRD in Lissabon. Diese bescheinigt ihm 1957 „große Hingabe und hohes ärztliches Ethos.“ 1957 unternimmt er eine Reise nach Deutschland, die sich als endgültig herausstellen sollte: Er erkrankt an Tuberkulose und stirbt 1958 in Pforzheim.

 

 

*Anmerkung:

Gesammelt und herausgegeben wurden die Flüsterwitze „Man flüstert in Deutschland…“ von Ernst Friedrich 1934 im Kulturverlag Paris/Prag. Sie sind bis heute nicht wieder aufgelegt. In Deutschland waren die Schriften von E. F. ab 1933 verboten, die Nationalsozialisten steckten ihn in "Schutzhaft"*, zerstörten sein „Anti-Kriegs-Museum“ in Berlin und verwandelten es in ein SA-Lokal. E. F. konnte Ende 1933 fliehen, zuerst nach Belgien, dann nach Frankreich, wo er sich der Résistance anschloss.

 

 

Quellen:

GLA KA 480 – 5231 und 5891;

GLA 507 – 42-48;

Sassenberg, Marina, Selma Stern (1890–1981), Das Eigene in der Geschichte, Tübingen, 2004;

Harrecker, Stefanie, Degradierte Doktoren, München, 2007, S. 363; http://www.anthroposophy.com/aktuelles/werner.html