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Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Raum Pforzheim

Geleitwort des Kulturamts

Widerständiges Verhalten gegen ein undemokratisches System mit totalem Machtanspruch erfordert viel Mut und die Bereitschaft, das Risiko teils gravierender Konsequenzen auf sich zu nehmen. Es erfordert eine Haltung, die von den staatlich propagierten und von der Mehrheit der Gesellschaft mitgetragenen Werten abweicht. Es erfordert die Entschlossenheit, nicht einfach mit dem Strom zu schwimmen, sondern mit einem Wort, einer Geste, einer Tat ein Zeichen dagegen zu setzen – auch wenn das die Karriere, die Freiheit oder sogar das Leben kosten kann. Das nationalsozialistische Regime hatte seinen umfassenden Machtanspruch nach dem 30. Januar 1933 schrittweise umgesetzt, Gegenstimmen und Andersdenkende brutal unterdrückt, die Gesellschaft unter massivem Druck „gleichgeschaltet“ und ein engmaschiges System der Überwachung etabliert. In Pforzheim wurde den Nationalsozialisten breite Zustimmung entgegengebracht. Viele Wähler stimmten beim Urnengang im März 1933 für sie. Wie schwierig muss es gewesen sein, dieser diktierten Vereinheitlichung von Politik, Kultur und Gesellschaft bis in den Alltag hinein nicht zu folgen. Aber dennoch gab es Menschen, die dem etwas entgegenzusetzen versuchten – sei es symbolisch in kleinen Gesten, durch Worte oder auch durch aktives Widerstandshandeln unter Lebensgefahr. Diese Menschen hatten ganz unterschiedliche Motive für ihren Widerstand, hatten ganz verschiedene politische, weltanschauliche, soziale oder kulturelle Hintergründe, ganz verschiedene Absichten und Ziele. Manche lehnten den Nationalsozialismus fundamental ab, andere waren nur mit einzelnen Aspekten nicht einverstanden.

Die Erinnerung an die widerständigen Männer und Frauen aus dem Raum Pforzheim öffentlich zu bewahren, ist der Stadt Pforzheim ein wichtiges Anliegen. Mit der Stele zur Erinnerung an den Widerstand im Raum Pforzheim, die sich am Ort der ehemaligen Gestapo-Außenstelle Pforzheim im einstigen Bezirksamt in der Bahnhofstraße befindet, würdigt die Stadt diese Menschen für ihr mutiges Handeln. Die Stele wird ergänzt durch eine umfangreiche Datenbank, in der die Kurzbiografien von Menschen mit Bezug zu Pforzheim dokumentiert werden, die dem nationalsozialistischen Regime zwischen 1933 und 1945 mit Widerstand und widerständigem Verhalten begegneten oder auch schon während der 1920er und frühen 1930er Jahre ihrer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus Ausdruck verliehen.

Stele und Datenbank zum Widerstand im Raum Pforzheim wurden im Mai 2018 von einer Initiative von Bürgerinnen und Bürgern, darunter Hans Ade, Brigitte und Gerhard Brändle, Andrew Hilkowitz, Frank Neubert und Jürgen Schroth, angestoßen und nachdrücklich vorangetrieben. Ihnen war es ein Anliegen, an die Menschen, die sich in Pforzheim durch widerständiges Verhalten gegen den Nationalsozialismus auszeichneten, zu erinnern. Das Verdienst der zeitintensiven und aufwändigen Recherche sowie der Erstellung der Texte gebührt allen voran Brigitte und Gerhard Brändle, die seit Jahrzehnten so engagiert wie unermüdlich heimatkundliche Forschungen und erinnerungskulturelle Projekte zur Zeit des Nationalsozialismus in der Region vorantreiben. Sie haben das Konzept entwickelt, recherchiert und die Texte verfasst. Die Stadt Pforzheim unterstützt ihr Projekt durch die Veröffentlichung auf ihrer Homepage und errichtete die Gedenkstele.

Am 8. Mai 2019 wurde die Stele im Rahmen des öffentlichen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch Oberbürgermeister Peter Boch der Öffentlichkeit übergeben.

Datenbank und Stele sind zugleich Beitrag und Ausdruck der lebendigen, von Bürgerinnen und Bürgern mitgestalteten Erinnerungskultur in Pforzheim. Sie bilden damit einen Baustein zum Gesamtkontext des historischen Gedenkens der Stadt Pforzheim, die eine pluralistische Erinnerungskultur pflegt, die der zivilgesellschaftlichen Vielfalt gerecht wird, indem sie Raum bietet für ihre unterschiedlichen Perspektiven und Ansätze, die zusammengehalten werden vom Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Das Projekt zum Widerstand im Raum Pforzheim folgt dem Ansatz, die Erinnerung an die Opfer bzw. Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch Nennung ihrer Namen und Biografien als Individuen zu würdigen, ihnen ein Gesicht zu geben und sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Nicht nur den aktiven Widerstandskampf gegen das Regime, sondern gerade auch die kleinen Gesten des Nichteinverstandenseins, die Verweigerung, das Nicht-Mittun haben die Autoren als widerständiges Handeln ausgewiesen. Die von den Autoren eigenständig recherchierte und zusammengestellte Datenbank widerständiger Menschen ist ein wichtiger Teil des Gedenkens. Die Stadt Pforzheim würdigt die mutige Leistung, in einem totalitären Unrechtsstaat der eigenen, abweichenden Haltung Ausdruck verliehen zu haben.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit und eine in die Zukunft gerichtete Erinnerungskultur brauchen aber mehr als das. So wichtig und erhellend die Darstellung von Biografien und die Würdigung einzelner Personen ist – sie bedarf der Einordnung, der Kontextualisierung, der kritischen Auseinandersetzung, der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Und dafür kann und soll diese Datenbank eine Anregung und ein Einstieg sein, sie soll zu Nachfragen, zur breiteren Beschäftigung mit dem Thema Widerstand, zur vertieften Untersuchung einzelner Aspekte und im besten Fall sogar zu weiteren wissenschaftlichen Forschungsprojekten anregen. Als Grundlage für die wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus in Pforzheim kann die von Hans-Peter Becht im Auftrag der Stadt erarbeitete Studie „Führer befiehl…“ Das nationalsozialistische Pforzheim 1933‑1945 genutzt werden, die den historischen Kontext darstellt, der für das Verständnis und die angemessene Einordnung der einzelnen Biografien so wichtig ist. Die nachhaltigste Form der Erinnerungskultur ist die dem Drang nach Erkenntnis entsprungene eigene intensive Beschäftigung mit der Geschichte aus den Quellen und der Literatur heraus. In diesem Sinne ist der Datenbank zum Widerstand im Raum Pforzheim eine lebhafte, fruchtbare Rezeption zu wünschen!

Pforzheim, im Juni 2020

Literaturempfehlungen zum Weiterlesen

  • Becht, Hans-Peter: „Führer befiehl…“ Das nationalsozialistische Pforzheim 1933 1945 (Materialien zur Stadtgeschichte, Bd. 26). Ubstadt-Weiher u.a. 2016. – Der Band behandelt den Nationalsozialismus in Pforzheim.
     
  • Benz, Wolfgang: Der deutsche Widerstand gegen Hitler (C.H.Beck Wissen). München 22019. – Knapp gefasste Überblicksdarstellung zur Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
     
  • Borgstedt, Angela/Thelen, Sibylle/Weber, Reinhold (Hrsg.): Mut bewiesen. Widerstandsbiographien aus dem Südwesten (Landeskundliche Reihe 46). Stuttgart 2017. – Der Band versammelt Biographien von Menschen, die auf Basis unterschiedlicher Motive Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben. Der einleitende Beitrag von Borgstedt diskutiert u.a. den Begriff des „Widerstands“.
     
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Verfolgung und Widerstand. Online unter: https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39555/verfolgung-und-widerstand (15.06.2020). – Als Teil des Dossiers Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg bietet der Themenblock eine Zusammenstellung von Beiträgen über verschiedene Formen und Akteure des Widerstands, die von anerkannten Historiker*innen verfasst wurden.
     
  • Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Themen. Online unter: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/themen/ (15.06.2020). – Die Gedenkstätte präsentiert auf ihrer Homepage eine knappe, fundierte Einführungen zur Geschichte und verschiedenen Gruppierungen des Widerstands nach Themenbereichen, die auch in der Dauerausstellung vorgestellt werden.
     
  • Kirn, Daniel: Widerstand. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Landeskunde Baden-Württemberg. Online unter: https://www.landeskunde-baden-wuerttemberg.de/ (15.06.2020). – Der Aufsatz bietet einen knappen Überblick über das Thema Widerstand in Baden-Württemberg.